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Klischee oder wahr? Außenansicht Berlin

Berlin setzt Trends. Berlin fasziniert. Berlin verführt und lockt Bewohner und Gäste auf die Straßen - auch wenn das Wetter nicht mitspielt. Die Stadt ist Magnet für Studenten, Künstler und Abenteurer aus der ganzen Welt.

Doch welchen Eindruck hinterlässt die Millionenmetropole Berlin eigentlich bei Touristen, die täglich die Geschichte der Hauptstadt anschauen, aufsaugen, ablichten? Was hat die Besucher hierher geführt? Welche Klischees oder Vorurteile reisten auf den ersten Metern der Berlin-Tour mit? Und welchen Eindruck hinterlassen die Spree-Bewohner bei den Durchreisenden? Bei Ben aus England, bei Patricia aus Mexiko-Stadt oder bei Lee aus den USA. Auf einer englischsprachigen Stadtführung trifft sich die Welt auf einem Fleck, am S-Bahnhof Hackesche Höfe. Von dort ziehen die Nationalitäten durch Berlins Mitte bis zum Brandenburger Tor. Klar ist: Berlin hinterlässt Eindrücke und keinen kalt.

Nach vorne schauen
Das Ehepaar Ben (62) und Deirdra (60) Jennings aus Exeter, Südwest England besucht Freunde in Berlin.

Ben: Ich dachte, dass Berlin eine dunkle und beklemmende Stadt ist. Ich bin richtig überrascht, denn sie ist das Gegenteil: hell und offen und weit.
Deirdra: Ja, ich hatte ähnliche Gedanken, bevor wir herkamen. Ich stellte mir vor, dass alles grau in grau wäre. Aber es ist eine so schöne Stadt.
(Ben zeichnet mit dem Finger über die Wand eines Gebäudes, fühlt die Struktur. Ist neugierig und stellt viele Fragen.)
Ben: (als sie am Denkmal für die jüdischen Opfer des NS-Regimes stehen) Die Deutschen sollten mehr nach vorne schauen und die Vergangenheit hinter sich lassen.
Deirdra: Ja, da sind von unserer Seite keine Animositäten vorhanden. Die junge Generation, aber auch die ältere, sollte sich mehr und konstruktiv mit ihrer Geschichte beschäftigen und nicht immer so ein schlechtes Gewissen mit sich rumschleppen.

Bizarr und entspannt
Der 38-jährige Jamie von der Isle of Wright lebte lange in London, bevor es ihn vor einigen Jahren nach Berlin zog. Neben seinem Job als Insider-Tour-Guide arbeitet er als Archäologe und schreibt nebenher seine Doktorarbeit. Er empfindet Berlin als extrem bizarre Stadt.

Jamie: Ich kam her mit dem Vorurteil im Kopf, dass die Deutschen keinen Sinn für Humor haben und sehr reserviert sind. Die habe ich jedoch schnell über Bord geworfen, weil ich hier meine Freundin kennen gelernt habe - und da habe ich nur gute Erfahrungen gemacht.

Da ich hier nicht nur Besucher bin, habe ich über die Jahre nicht nur die deutsche Kultur kennen gelernt, sondern auch erfahren, was es heißt Brite zu sein. Deutsche haben ihrerseits einige Klischees im Kopf. Dazu tragen sicherlich auch die britischen Medien bei, die, wenn sie über Deutschland berichten, selten vergessen eine Referenz zu den Nazis zu ziehen.

Auch durch die Stadt selber ziehen sich Vorurteile. Die Sicht ist ja oft so einseitig und westlich geprägt. In Berlin fing ich an zu verstehen, wie Ost-Berliner denken, den Westen sehen - das war mir zuvor verborgen.

Berlin ist ruhiger und entspannter als zum Beispiel London. Berlin ist nicht so hektisch. Hier hat man eindeutig mehr Lebensqualität.

Interessant ist, dass auf den Stadtführungen für Deutsche viel weniger über die deutsche Geschichte erzählt und erklärt wird.

Dürfen wir den Ami mal anschauen?
Lee (22) aus Philadelphia, USA studiert in Berlin, spricht sehr gut Deutsch und hat einen unverwechselbar norddeutschen Akzent. Er kam das erste Mal mit 16 über einen Schüleraustausch nach Deutschland. Sein Lehrer in Deutschland sagte ihm damals am Ende des Austauschjahres: "Dein Deutsch ist gut, aber du sprichst wie ein Bauer."

Lee: Das erste Klischee über Deutschland setzte mir meine damalige Deutschlehrerin in den Kopf. Als ich noch nicht wusste, wo ich als Austauschschüler hinkommen sollte, fragte ich sie, wo es denn am schönsten wäre? Sie sagte: Bayern. Ganz schlimm würde es mich jedoch treffen, wenn ich in den Nordosten des Landes käme. Klar, dass meine Familie in Mecklenburg Vorpommern lebte. Wir waren drei von 300 Austauschschülern im Nordosten Deutschlands - und wer hat sich am wohlsten gefühlt? Wir.

Zu allen Klischees habe ich auch noch in einer erz-kommunistischen Familie gelebt.
Als Amerikaner war ich 1999 auch eine Ausnahmeerscheinung in dem kleinen Ort. Ich wurde selber mit Vorurteilen bedacht und nicht nur einmal gefragt: "Ach! Aus Amerika… haben Sie dann auch einen Knall?" Oder ein Mädel damals aus der Nachbarschaft, die klingelte eines Tages an der Tür und fragte meine Mutti: "Dürfen wir den Ami mal anschauen?"
Es dachten auch immer alle, dass ich Cola und Chips-Fan sein müsse. Ich mag beides nicht. Hab es aber aus Höflichkeit gegessen.

Ich hab auch jetzt, seit ich wieder hier bin, mit einigen Vorurteilen zu kämpfen. Alle sprechen mich auf Bush an, wenn sie hören, dass ich Amerikaner bin: "Ach, Du hast also Bush gewählt". Die vergessen, dass viele von uns gegen Bush sind, gegen ihn demonstriert haben.

Mein Eindruck ist, dass Berlin für viele Amerikaner immer mehr zu einem "bohemian paradise" wird. Immer mehr Studenten gehen nach der Schule nicht mehr nach Mexiko, sondern nach Berlin.

Fan der 70er Jahre
Nathan (22) aus York, England nimmt gerade eine Auszeit, um vier Wochen durch Europa zu reisen. Er hat gerade sein Studium der Politischen Wissenschaft mit Schwerpunkt Ostpolitik beendet.

Nathan: Viele in England sind voller Klischees, wenn es um Deutschland geht. "Oh, they invaded us! That was bloody awful!" Aber das sind nicht meine Klischees. Ich war sehr gespannt auf die kommunistische Architektur. Ich steh auf Gebäude im Stil der 70er Jahre. Berlin übertrifft da alle meine Erwartungen. Die Architektur und die Größe der Stadt sind überwältigend.

Schnute gezogen
Patricia (21) aus Mexiko-City studiert Internationale Beziehungen. Sie hat Semesterferien und ist auf Rundreise durch Europa: Brüssel war ihre erste Station, Berlin die zweite, danach folgen noch Kopenhagen und Prag. Sie machte gleich zu Anfang die Bekanntschaft mit der berühmten Berliner Schnauze.

Patricia: Ich hatte vor meinem Eurpoatrip gehört, dass Deutsche sehr freundlich sein sollen. Aber bis jetzt sieht es mir so gar nicht danach aus, dass sie nett sind. Die meisten, die ich bisher getroffen habe, zogen eine Schnute und wirkten so schlecht gelaunt oder raunzten mich an, wenn ich eine Frage stellte.
Allerdings hätte ich nicht gedacht, dass Berlin so schön ist - unabhängig von den Menschen jetzt - ist die Architektur wirklich beeindruckend. Die Mischung aus modern und klassisch ist faszinierend.

Platz für sich
Pascal (29) arbeitet als Banker. Franck (29) ist Techniker beim Fernsehen, verfolgt aber zurzeit seinen lang gehegten Wunsch, als Regisseur zu arbeiten, ein Drehbuch hat er bereits fertig, das er gerade umsetzt. Beide sind aus Paris.

Pascal: Wir sind vor allem an den Hauptattraktionen der Stadt interessiert. Die Architektur ist spannend, hatten bereits Bilder in Büchern gesehen.
Franck: Die Architektur ist in Berlin anders: es ist eine Mischung aus alt und modern.
P: Vorurteile, was die Deutschen betrifft? Hm. Nö. Haben wir nicht! Oder?
F: Die Deutschen sind sehr - wie sagt man? - strikt, so streng.
P: Ja, sehr diszipliniert.
F: Stimmt. Sie warten zum Beispiel an roten Ampeln. In Paris kümmert sich niemand um eine rote Ampel. Wir halten es eher mit: Laisser-faire.
P: Und das ökologische Bewusstsein ist in Deutschland sehr ausgeprägt. Das ist hier wirklich gut entwickelt, was Stromversorgung und Abfalltrennung angeht.
F: Berlin ist außerdem so wunderbar ruhig im Vergleich zu Paris, da herrscht viel mehr Stress.
P: Und: man hat hier Platz zum Spazieren, das ist toll. In Paris sind Hunderttausend Menschen unterwegs und rempeln permanent gegeneinander.
F: Und in Paris ist mehr Smog. Die Luft wirkt in Berlin viel klarer.

Informationen:
Der englische Stadtrundgang in Berlin: www.insidertour.com

Copyright: Petra Märlender 2005-2007